Vortrag und Diskussion
Im Theater ist die Forderung bekannt, es solle lebendig sein: die Figuren echt, die Geschichten packend. Und nicht nur in der Kunst, auch gesellschaftlich gilt Lebendigkeit als hoher Wert: Die Gefühle authentisch, das Leben unmittelbar, kein Medienevent ohne Live-Schaltung. Der Kulturkritiker Dietrich Diederichsen sieht daher heute einen »Fetischismus der Lebendigkeit«. In unserer neoliberalen Gesellschaft wird Leben ökonomisch verwertet.
Was heißt es, vor diesem Hintergrund, das „Leben der Kunst“ für Theater an Schulen zu suchen? Was sagen uns dafür die künstlerischen Avantgarden und ihr zentraler Wunsch, dass Theater ins „Leben“ eingreift?
Der Vortrag skizziert ästhetische Versuche von DADA über Fluxus bis zur Live Art und stellt dar, mit welchen Vorstellungen von „Leben“ – auch stereotypen – sie arbeiten (kreatives Chaos vs. bürgerlicher Institution; atmender Körper vs. toter Text; Zufall vs. Werk).
Dabei soll die Suche nach dem Leben und dem Lebendigen auch als politische Frage reflektiert werden: Wessen Leben zählt in der Kunst und wird sichtbar und hörbar? Welche Arbeitsweisen und Lebensformen sind mit der Kunst verbunden?
Das Leben des Theaters ist daher letztlich ein Konzept mit ethischer Relevanz: Theater kann „das ihr bekannte Leben […] überschreiten“ (Bojana Kunst), wenn es über das eigene Leben hinausgeht. Die Lebendigkeit als ein schöpferisches Prinzip stellt sich einer Vereinnahmung durch Ökonomie, Arbeit, Bildung kritisch entgegen – auf der Suche nach Kunst als einer widerständigen Praxis.
Matthias Dreyer ist Professor für Theater in Schulen und Leiter der Abteilung Theaterpädagogik an der Hochschule für Musik und Theater Rostock. Zuvor war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin, am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt sowie Humboldt Research Fellow an der University of Chicago. Arbeit auch als Dramaturg und Theaterpädagoge. Seine aktuellen Forschungsschwerpunkte sind Theater als kritischer Bildungsprozess, Dramaturgie, chorisches Theater sowie die geteilten Geschichten von Avantgarde, Lebensphilosophie und Pädagogik.