Schultheater.Leben | Bremen | 22.09. bis 27.09.2024

(Aus)Grenzerfahrung im Hier und Jetzt

„Krieg“ ist nicht nur ein „einfache“ Theaterinszenierung, sondern eine soziale Erfahrung, die das Publikum direkt in die Handlung involviert und es dazu zwingt, über die eigenen Vorurteile und Privilegien nachzudenken.

„Was, wenn der Krieg zu uns kommt?“ – Mit dieser beklemmenden Frage begann die interaktive Aufführung „Krieg“ der Theatergruppe „tACTlos“ vom Friedrich-Wöhler-Gymnasium Singen unter der Leitung von Nicola Fritsch. Die Inszenierung setzt sich eindringlich mit den Themen Flucht, Heimatlosigkeit und kulturelle Identität auseinander und schafft es, das Publikum nicht nur emotional zu bewegen, sondern es aktiv in das Geschehen einzubeziehen.

Die Inszenierung behandelt ein düsteres Szenario: Frankreich greift Deutschland an, und plötzlich werden die Zuschauenden selbst zu Flüchtlingen im eigenen Land. Die Darstellenden konfrontieren das Publikum mit der Frage: „Wie fühlt es sich an, wenn die Rollen vertauscht werden und Deutsche plötzlich wie Geflüchtete behandelt werden?“ Man wurde als Publikum nicht nur Zuschauende, sondern regelrecht zu Mitspielenden und Opfern gemacht. In einem Teil der Aufführung wird das Publikum in einen dunklen, durch Vorhänge abgetrennten Raum geführt – eine eindringliche Metapher für das Leben in Ungewissheit und unter menschenunwürdigen Bedingungen. Dies verstärkt das Gefühl der Hilflosigkeit und Isolation, das viele Flüchtlinge erleben.

Ein zentrales Thema der Inszenierung ist die Frage nach der kulturellen Identität. Besonders stark war der Aspekt der „Misch-Nationalität”: Was passiert, wenn man sich nirgendwo wirklich zugehörig fühlt? Ein Kind mit Eltern aus verschiedenen Kulturkreisen wird nirgendwo als „echter“ Deutscher oder Angehöriger des anderen Landes anerkannt. Diese Fragestellung greift die persönliche Realität vieler Menschen auf, die sich zwischen mehreren Welten bewegen. Das Thema betrifft mich persönlich und verstärkt den emotionalen Zugang zum Stück.

Besonders beeindruckend ist die Raumnutzung. Die Darstellenden tauchen unerwartet aus dem Publikum auf, was das Geschehen unvorhersehbar und lebendig macht. Diese überraschenden Wendungen halten die Spannung aufrecht und bringen die Geschichte näher an die Zuschauenden. Auch die Ebenen des Spiels werden intensiv genutzt: Kämpfe und emotionale Szenen finden auf unterschiedlichen physischen und symbolischen Ebenen statt – mal hoch, mal tief, mal nah, mal fern. Die Darstellenden sind erstaunlich selbstbewusst und wirken trotz ihres jungen Alters sehr erfahren.

Ein weiterer Höhepunkt ist die intensive Verwendung von Standbildern und ausdrucksstarker Mimik. In vielen Szenen wechseln die Akteure zwischen dynamischen Bewegungen und statischen Momenten, die die Intensität der Konflikte und des Leidens eindrucksvoll verdeutlichen. Diese Kontraste bringen die Zerbrechlichkeit und den inneren Kampf der Figuren auf der Bühne visuell und emotional zum Ausdruck.

Besonders eindrucksvoll ist die Szene, in der es um eine Ehe zwischen einer Deutschen und einem Ägypter geht. Hier werden nicht nur persönliche, sondern auch gesellschaftliche Vorurteile sichtbar, die oft in realen Lebenstragödien enden. Es wird aufgezeigt, wie Klischees und rassistische Einstellungen das Leben der Betroffenen zerstören können – egal, ob in Deutschland oder im Ausland.

„Krieg“ ist nicht nur ein „einfache“ Theaterinszenierung, sondern eine soziale Erfahrung, die das Publikum direkt in die Handlung involviert und es dazu zwingt, über die eigenen Vorurteile und Privilegien nachzudenken. Durch die eindringliche Raumnutzung und das interaktive Element werden die Zuschauenden in die Rolle der Geflüchteten versetzt – ein effektiver Weg, um das Thema emotional greifbar zu machen.

Die Darstellenden überzeugen durchweg mit ihrer Mimik, Körpersprache und Stimmen. Ihre Selbstsicherheit und das geschickte Spiel mit dem Publikum zeigen, dass sie trotz ihres jungen Alters bereit sind, anspruchsvolle Themen auf der Bühne zu präsentieren.

Für jeden, der nach einem Theatererlebnis sucht, das bewegt und gleichzeitig nachdenklich stimmt, ist „Krieg“ eine absolute Empfehlung.

Diana Kaya (Alexander-von-Humboldt-Gymnasium Bremen)

“Krieg:stell dir vor, er wäre hier” (Baden-Württemberg)
Foto: Manja Herrmann